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Wie die Zeitungen durch die dumme Jugend sterben – oder andersrum

Weil in den Vereinigten Staaten grad die Zeitungsbranche ein bisschen vor sich hinkriselt und auch auch ein paar Hochglanzmagazine in Deutschland schon über die Spree gegangen sind, hält das Allensbach-Institut es für nötig, sich über den Zustand der hiesigen Zeitungen besorgt zu zeigen und dafür als Schuldigen die Jugend auszumachen. FTD.de schreibt:

Nach Erhebungen des Instituts für Demoskopie haben sich 1980 noch 72,3 Prozent aller 14- bis 29-Jährigen täglich über die Tageszeitung informiert. 2008 seien es nur noch 41,1 Prozent gewesen[. …]
Das Internet führe zu einer “Zeitenwende im Umgang mit Informationen”, betonte [Allensbach-Chefin] Köcher. Entscheidend sei hierbei weniger die steigende Häufigkeit in der Nutzung des Internets, sondern die generelle Veränderung der Mediennutzung: “Das Internet verändert die Nutzung aller anderen Medien.” Der typische Internet-Nutzer neige dazu, ein Medium nur noch zu nutzen, wenn er ein gezieltes Informationsbedürfnis habe.
Das Internet werde dabei genutzt wie ein “Informationsvorratsschrank”, der rund um die Uhr zur Verfügung stehe, sagte die Allensbach-Chefin. Daraus resultiere ein sinkendes Bedürfnis, sich regelmäßig “auf dem Laufenden” zu halten, und entsprechend eine sporadischere Nutzung aller anderen Medien: “Bei den Jüngeren haben sich viele davon verabschiedet, sich täglich zu informieren.”

Nun bin ich kein Meinungsinstitut und habe deshalb keinen Überblick über die Jüngeren, aber das kompensiere ich locker mit einer übersteigerten Selbstwahrnehmung. Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass ich überdurchschnittlich viele Medien konsumiere, aber unterschiedliche Mediennutzung gibt es schon seit Beginn der Medien, deshalb habe ich mir mal das unverschämte Recht rausgenommen, ein paar Gedanken über den Informationsvorratsschrank und seinen so sehr anders genutzten analogen Vorläufer aufzuschreiben:

Keine Träne um des Weinens willen

Wenn die Zeitungen nicht weiter an Leserschaft verlieren wollen, müssen sie dem Internet etwas entgegen setzen, das es selbst nur in eingeschränktem Maße zu leisten im Stande ist: Hintergründe, Analysen, Meinungen. Ruhe ausstrahlen, Orientierung bieten. Das ist nun wirklich keine neue Erkenntnis. Was kommt aber stattdessen? Geplärre über die bösen LeserInnen, die scheinbar grundlos keine LeserInnen mehr sein wollen; austauschbare, ohne Liebe zusammengesteckte Agenturinhalte, die von den LeserInnen nur im besten Fall noch eine rudimentäre Lesefähigkeit verlangen, weil nichtssagende Bilder zumindest den Platz besetzen, der mit mehr nichtssagendem Text auch nicht besser gefüllt wäre; Imitation der schlechten Seiten des Netzes, weil man denkt, dass LeserInnen in einer Zeitung genau das Suchen, was auch im Netz viele Klicks bringt, dabei aber in Brandtexten das Netz mit genau diesen schlechten Eigenschaften gleichsetzen – oder wie der stets die richtigen Worte findende Stefan Niggemeier vor ein paar Tagen schrieb:

Journalisten nutzen das Internet, um die berechtigte Kritik an ihrem eigenen Vorgehen systematisch auf die Amateur-Publizisten zu projizieren. Womöglich hat das nicht nur eine strategische, sondern auch eine psychologische Komponente und hilft irgendwie, den unterschwelligen Selbsthass zu kompensieren.

Ja, das Zitat bezog sich auf Journalisten-Texte, die im Internet veröffentlicht wurden – genau wie der Stammlesern wohlbekannte Satz Sie begehen Selbstmord aus Angst vor dem Tode aus dem 2007 veröffentlichten Gutachten der Friedrich-Ebert-Stiftung, aber ich denke, die Aussagen lassen sich auch auf gedruckte Texte zum Thema übertragen. Bevor jemand einwendet, ich scherte hier alle Zeitungen (bzw. ihre Journalisten) über einen Kamm: Stimmt, und das ist wahrlich eine unzulässige Verallgemeinerung.
Aber: Ich verlange kein Geld von euch dafür, dass ihr euch unzulässige Verallgemeinerungen durchlest und beschwer mich auch nicht, dass mir die Zeitungen meine LeserInnen wegschnappen. Ich bin ein Amateur, der es nicht mit einem Journalisten aufnehmen kann. Ich muss es aber auch nicht. Journalisten dagegen müssen es mit mir aufnehmen, sie müssen auf jeden Fall besser sein als ich, denn sonst haben sie kein Existenzrecht und dürfen sich nicht wundern, dass die LeserInnen sich den Stuss lieber für ömme antun.

Ich wohne am Niederrhein, der – wie man so hört – in der mittlerweile fast schon elitär zu nennenden Situation ist, mit Westdeutscher Zeitung und Rheinischer Post zwei Tageszeitungen zu haben. Natürlich sollte ich froh sein, dass es (noch) kein Informationsmonopol oder gar überhaupt keine täglich gedruckten Informationen gibt, aber wenn ich WZ und RP mal durchblättere, bin ich mir nicht sicher, ob die Abwesenheit der Blätter einen so herben Verlust darstellte. Der Mantelteil ist in beiden Zeitungen (wie wahrscheinlich überall) zum Großteil aus Agenturmeldungen zusammengestrickt, die ich tausendfach auch im Internet zugeschmissen bekomme; bei der WZ gibt es neben den Artikeln häufig noch belanglose Zwei-Satz-Kommentare der Redakteure, denen man ihre Lustlosigkeit und fehlende Auseinandersetzung mit dem Thema anmerkt. Brauch ich nicht. Die Gedanken, die da teilweise zu Papier gebracht werden, spül ich morgens die Kloschüssel runter. Die Medienseite der WZ wurde schon vor längerer Zeit fast gänzlich abgeschafft, neben dem Fernsehprogramm des Tages findet sich hier nur noch ein TV-Tipp. Früher hab ich jeden Morgen gierig die Quoten des Vorvortages verschlungen, aber die hielten die Verantwortlichen bei der WZ wohl für verzichtbar. Seitdem hab ich Medienmagazine im Web entdeckt, von deren Existenz ich bis dahin nicht einmal geahnt hatte und die täglich Themen für mich bereit halten, mit denen die WZ-Medienseite wochenlang gefüllt werden könnte.
Ein Medienmagazin wie DWDL widerlegt übrigens auch die gelegentlich geäußerte Unterstellung, Qualität könne nicht von „Laien“ angeboten werden; dass dafür die etablierten Medien benötigt würden. Ich möchte mit dem Begriff „Laien“ nicht die Leistung von DWDL herabwürdigen, sondern nur ausdrücken, dass die Seite quasi als Hobbyprojekt von medienbegeisterten Heranwachsenden gestartet ist.
Wenn Bedarf seitens der Konsumenten vorhanden ist und genügend Motivation auf der Seite der Macher, kann jedes Projekt auch – und durch die geringeren Startkosten grade – im Internet professionell werden.

Ohne Frage lese auch ich – wie wahrscheinlich jeder Mensch – längere Texte lieber gedruckt als auf einem Bildschirm, aber von den lokalen Tageszeitungen kann und sollte ich die nicht erwarten. Dafür sind die Überregionalen da: FAZ, Süddeutsche und dergleichen. Welche Daseinsberechtigung haben lokale Tageszeitungen also noch? Logische Antwort: Der Lokalteil informiert die Menschen vor Ort als einziger umfassend über das, was vor Ort geschieht. Wirklich?
Seitdem die Website meiner Stadt einen RSS-Feed anbietet, habe ich ihn abonniert. Dort werden täglich Pressemeldungen veröffentlicht, die auch – logisch – an die Presse rausgehen. Für einen Journalisten wäre es nun – so sollte man annehmen – erste Aufgabe, sich des Themas anzunehmen, andere Meinungen einzuholen, Hintergrundinformationen zu sammeln. Natürlich ist das nicht bei jeder geänderten Öffnungszeit des Stadtteilbüros möglich und nötig – aber ich erwarte schon, dass ich in der Zeitung morgens andere Sätze lese als im RSS-Feed am Tag zuvor; zumindest aber ein von Fehlern befreiter Wortlaut der Pressemitteilung. Beides ist WZ und RP in vielen, vielen Einzelfällen nicht gelungen: Wenn ein Wort in der Pressemitteilung fehlt oder ein Name falsch geschrieben ist, dann kann man fast mit Sicherheit davon ausgehen, dass sich das so auch auf Papier wiederfinden lässt.
Wenn also doch nur vielfach die unkorrigierten Pressemitteilungen so angeordnet werden, dass am Ende möglichst wenig unbedruckte Fläche übrig bleibt: Welchen Vorteil hat ein Lokalteil gegenüber dem RSS-Feed der Stadt?

Ein starkes Argument, das für Regionalzeitungen spricht: Es haben längst noch nicht alle Menschen Internet; grade Ältere würde ohne Zweifel der Zugang zu Informationen abgeschnitten. Die Frage muss aber erlaubt sein: Soll ich nur deshalb weiter Zeitung lesen, weil ich nicht möchte, dass Ommaken ohne Zeitung dasteht? Das kann es nicht sein.
Wie Netzökonom Holger Schmidt schreibt, hat der Branchenverband Bitkom festgestellt, dass der „digitale Graben“ bei 50 Jahren liegt. Warum finden sich die Lokal- und Regionalzeitungen (aber auch Meinungsforschungsinstitute wie Allensbach) nicht damit ab, dass dieser „digitale Graben“ existiert? Was spricht angesichts der fehlenden Argumente für die Jüngeren aus Sicht der Zeitungen dagegen, den hoffnungslosen Kampf gegen das Internet aufzugeben und stattdessen eine Konzentration auf ihre (nicht gewollte, aber nun einmal existente) Zielgruppe zu legen?
Ja, sicher, diese momentane Zielgruppe stirbt irgendwann aus, dann hätten die Zeitungen überhaupt keine Kundschaft mehr. Aber dieses Finale steht den meisten Zeitungen sowieso bevor, die nicht – wie oben beschrieben – einen anderen Markt abdecken als das Internet es könnte. Außerdem: Wer sagt denn, dass nicht auch die Jungen irgendwann mal älter werden und kurze, belanglose, austauschbare Texte wieder gedruckt lesen wollen?

Der Feedreader als Zeitung

Nun habe ich schon häufig das Argument gelesen, dass im Internet einfach zu viele Informationen bereitgestellt würden und ein einzelner Mensch das gar nicht alles verarbeiten könnte. Die Sache ist nur: Mein Feedreader ist die beste Zeitung, die ich je gelesen habe. Ich bin dank meines Feedreaders informierter als je zuvor und als ich ohne Feedreader je in meinem Leben sein könnte. Er bietet mir aufbereitet alle Informationen an, die ich haben möchte, aber eben nicht nur die, sondern auch vieles, von dem ich nie gedacht hätte, dass es mich interessiert, aber das mich dann beim Überschriftenüberflug innehalten lässt. Wenn mich dann noch die ersten zwei, drei Sätze packen, dann interessiert mich doch gar nicht, ob mich das Thema selbst interessiert – ich lese einfach gern gut geschriebene Stücke, die ich in einem ordentlich sortierten Feedreader aber ungleich besser finde als in zehn gekauften Zeitungen. Die würden nämlich tatsächlich für eine Informationsflut sorgen, der ich nicht mehr Herr werden könnte. Frau Köcher (die Dame vom Beginn, die Älteren erinnern sich vielleicht noch) hat also einfach nicht recht:
Ich nutze das Medium nicht annähernd nur noch, wenn ich ein gezieltes Informationsbedürfnis habe. Im Gegenteil sind mein Feedreader und die darin auftauchenden weiterführenden Links meine liebste und meistgenutzte Prokrastinationsquelle.
Ich nutze das Internet des Weiteren nicht wie einen „Informationsvorratsschrank“, der rund um die Uhr zur Verfügung steht. Daraus resultiert bei mir kein sinkendes Bedürfnis, mich regelmäßig „auf dem Laufenden“ zu halten und wirklich täglich informiere ich mich bewusst erst, seit ich einen Feedreader habe.
Bei zwei Punkten hat sie allerdings Recht: Ich nutze alle anderen Medien sporadischer. Ich weiß aber nicht, was daran grundsätzlich schlecht sein soll, denn andererseits nutze ich andere Medien so viel wie nie zuvor. Wie? Nun, Frau Köcher übersieht wohl, dass das Internet alle anderen Medien in sich vereint: Für das WDR-ZeitZeichen muss ich kein Radio mit in die Uni nehmen, damit ich pünktlich um 9 Uhr dabei bin. Ich kann es mir stattdessen einfach immer anhören. Für die Tagesschau muss ich ebenfalls nicht um 20 Uhr vor dem Fernseher hocken: Ich kann mir sie noch mitten in der Nacht anschauen oder auch noch Jahre später. Und schließlich die tagesaktuellen Informationen, die ich sonst nicht mehr ganz so tagesaktuell in der Zeitung las. Hab ich Medien vergessen? Oh, Spielekonsolen. Tja, die fass ich tatsächlich nicht mehr an. Ein herber Verlust für eine vielfältige Medienlandschaft. Jetzt weiß ich, worum sich Frau Köhler sorgt.
Der zweite Punkt, mit dem sie Recht hat: Das Internet führt zu einer „Zeitenwende im Umgang mit Informationen“. Stimmt ohne Zweifel. Sie müsste mir jetzt nur noch erklären, was daran besorgniserregend sein soll. Ist es nicht stattdessen die Erfüllung eines Traumes der Menschheit, sich selbst – häufig aus erster Quelle – über Ereignisse zu informieren und nicht auf die wahrheitsgetreue Berichterstattung zweiter, dritter und vierter angewiesen zu sein?
Bitte versteht mich da nicht falsch: Ich bin mir durchaus der Gefahr der Informationsfälschung auch und grade in einem (noch) so offenem Medium wie dem Internet bewusst, aber da ich mir sicher bin, dass der Mensch irgendwann das Ideal des mündigen, aufgeklärten Menschen erreichen wird, spricht aus meiner Sicht auch nichts dagegen, dem Menschen so viel Verantwortung zu überlassen, dass er die nötige Medienkompetenz entwickeln kann, richtiges und wichtiges von unseriösem zu trennen. Um diese Medienkompetenz zu entwickeln, stehen ihm so viele verschiedene Informationskanäle zur Verfügung wie nie zuvor und daran würde auch die ein oder andere Regionalzeitung weniger nichts ändern.

Das hört sich alles sehr pathetisch und utopisch an und hat wohl tatsächlich nur wenig mit dem vorliegenden „Problem“ zu tun, wir würden uns weniger über das Tagesgeschehen „auf dem Laufenden“ halten – andererseits ist „Zeitenwende“ nun auch nicht der bodenständigste Begriff, oder? Bei sowas großem darf man auch mal große Worte bemühen.

… und jetzt?

Dass eine Besinnung auf die Stärken des Mediums nicht die schlechteste Idee ist, lässt sich – trotz sicherlich schwieriger Zeiten für die Zeitungen – auch an den IVW-Zahlen ablesen:
Während Ramsch- und Klatschblätter wie Bild, die in den zahlreichen Gossip-Websites ihre natürlichen Feinde haben und ihnen gegenüber keinen Vorteil – weder inhaltlich, noch zeitlich oder preislich – aufbieten können, rasant an Auflage verlieren, schaffen es die meisten Qualitätszeitungen, ihre Auflage wenigstens zu halten oder – wie die FAZ – sogar ein leichtes Plus im Vergleich zum Vorjahr herauszuholen. Dieses Plus wird sicherlich nicht durch wörtlich übernommene Agenturmeldungen generiert, sondern durch Inhalte, deren Kauf sich lohnt und die nur auf Papier so richtig Sinn ergeben.

Natürlich ist die Frage der Finanzierung von qualitativ hochwertigen Inhalten im Netz noch weitgehend ungeklärt, aber es kann doch kein Argument für Zeitungen sein, dass die Verlage sich die Information der Bürger ohne Zeitungen nicht leisten können. Dann haben die Verleger versagt und nicht die Bürger. Hier sind Antworten gefragt und keine Schuldzuweisungen.

Das Medium wird sich vielleicht (bzw. ziemlich sicher) ändern, aber die Art des Informationskonsums doch nicht: Wer heute Bild kauft, wird sich auch morgen noch auf Gerüchte- und Skandalblogs rumtreiben. Die, die sich seriös informieren wollen, suchen auch weiterhin aktiv nach den besten verfügbaren Informationen – und finden sie wohl auch noch ein paar Jahrzehnte (oder sogar Jahrhunderte) zumindest partiell noch in den besten Zeitungen. Der Rest hat selbst Schuld.


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